Munich Re: Komplexe Risiken verstehen, berechnen und absichern

Quantensprünge

25.04.2022

Eine immer komplexere Welt erzeugt mehr Abhängigkeiten und komplexere Risiken 

 

Bei Munich Re nehmen Andreas Nawroth und sein Team die quantentechnologischen Anwendungen für eine moderne Erkennung, Berechnung und Absicherung von Risiken in den Blick. So tragen sie dazu bei, Deutschland zu einem Vorreiter in Sachen Quantentechnologie zu machen – und Unternehmen zukünftig noch intelligenter gegen Schäden abzusichern. 

 

Porträt von Andreas Nawroth

Andreas Nawroth, Leading Expert bei Munich Re

Eine komplexe und globale Welt 

Unsere Welt wird immer komplexer, ob es dabei um den Klimawandel, globale Lieferketten oder eine Pandemie geht. Immer mehr wesentliche Risiken sind nicht mehr lokal begrenzt, sondern betreffen die ganze Welt. Zudem sind sie nicht stabil und entwickeln sich beständig weiter. Die frühzeitige Erkennung und Berechnung solcher Risiken gewinnen also immer stärker an Bedeutung, jedoch reichen heutige Methoden für eine präzise Berechnung oft nicht aus. Drei Beispiele können dies verdeutlichen: 

Klima: Extreme Wetterereignisse wie das Jahrhunderthochwasser im Juli 2021 gefährden das Leben sowie die Lebensgrundlage vieler Menschen und verursachen volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe. Der Klimawandel führt zu extremen Wetterereignissen, die früher nicht oder seltener vorkamen. Zwar existieren Klimamodelle, die die globale Entwicklung der Temperatur und anderer Parameter vorhersagen, jedoch ist aktuell die Genauigkeit und örtliche Auflösung nicht ausreichend, um die Wahrscheinlichkeit für die Überschwemmung einzelner Gebäude präzise einschätzen zu können. 

Lieferketten: Im März 2021 lief das Containerschiff Ever Given im Suezkanal auf Grund. Es blockierte sechs Tage lang die Durchfahrt des Kanals. Mehr als 300 Schiffe stauten sich im Kanal, auf dem jeden Tag Waren im Wert von 9,6 Milliarden US-Dollar transportiert werden. Die Optimierung der globalen Warenströme ist hochkomplex und von heutigen Rechnern nicht zu bewältigen. Und so sind auch hier aktuell keine präzisen Berechnungen für Wahrscheinlichkeiten der sichersten Route möglich. 

Pandemien: Im Dezember 2019 wurde erstmals COVID-19 beschrieben. Seitdem verbreitet sich das Virus sehr schnell und weltweit. Diese Pandemie hat nicht nur gravierende gesundheitliche Folgen für viele Menschen, sondern ließ auch global die Arbeitslosigkeit ansteigen, die Wirtschaftsleistung sinken und bedroht Branchen wie Tourismus oder Gastronomie. Die Modellierung der Ausbreitung des Virus ist hochkomplex und auch hier lassen sich aktuell die Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Szenarien nicht präzise bestimmen. 

Bei allen drei Arten von Risiken, Klimawandel, Lieferketten und Pandemien, sind die assoziierten komplexen Risiken zwar prinzipiell beschreibbar, aber aktuell nur schwer berechenbar. Für Versicherungsunternehmen ist jedoch die Berechenbarkeit und das Verständnis von Risiken essenziell. Nur so lassen sie sich absichern und damit die Folgen für den Einzelnen abmindern. 

Das Quanten-Versprechen 

„Die Berechnung von Schadenswahrscheinlichkeiten ist tatsächlich kein neues Problem“, erklärt Andreas Nawroth von Munich Re, einer der weltweit führenden Rückversicherer. Der klassische Ansatz ist, sich die Schäden in der Vergangenheit anzuschauen und aus diesen historischen Daten den mittleren Schaden pro Jahr und die Wahrscheinlichkeit für ein extremes Schadensereignis zu berechnen. Doch unsere Welt verändert sich heute schneller als in der Vergangenheit. Gründe sind beispielsweise der Klimawandel, neue technologische Entwicklungen und die schnelle und gute Erreichbarkeit von einst fernen Orten. 

Das Team rund um Andreas Nawroth interessiert, wie Quantencomputer die Berechnung von komplexen Schadenswahrscheinlichkeiten ermöglichen können. Dabei nutzt das Team neben historischen Daten oft Simulationen. Aus den simulierten Zukunftsszenarien können dann die potenziell entstehenden Schäden berechnet werden. „Quantencomputer sind für die Simulation von verschiedenen Zukunftsszenarien geradezu prädestiniert“, erklärt Nawroth. Denn anders als herkömmliche Rechner, die die jeweiligen Szenarien nur sequenziell, also eines nach dem anderen, berechnen können, sind Quantencomputer in der Lage, viele mögliche Szenarien zur gleichen Zeit zu betrachten. „Dadurch kann die zur Lösung benötigte Rechenzeit drastisch reduziert werden.“

Die Physik hinter ihrer Funktionsweise ist komplex. Wesentlich ist der Unterschied zwischen klassischen Bits und den sogenannten Qubits, mit denen Quantencomputer arbeiten, vor allem die Fähigkeit der letzteren zur Verschränkung. Wie durch ein unsichtbares Band verknüpft, stehen verschränkte Qubits miteinander in Verbindung. Jedes „weiß“ um die Zustände der anderen. Mit Hilfe eines entsprechenden Algorithmus lassen sich so verschränkte Qubits gleichzeitig verarbeiten. Und genau in dieser Parallelverarbeitung liegt der große Vorteil des Quantencomputing. Denn je mehr Qubits miteinander verschränkt sind, desto mehr Szenarien können parallel verarbeitet werden. Und gerade diese möglichen Szenarien erlauben es dem Rückversicherer die Risiken in der Zukunft noch besser einzuschätzen.  

Klares Ziel, weiter Weg  

Seit 2020 widmen sich Andreas Nawroth und etwa zehn Kollegen dem Thema Quantencomputing aus der Perspektive des Rückversicherers. Dabei geht es im ersten Schritt darum, Expertise aufzubauen: Welches Wissen benötigt die Organisation, wo muss Know-how etwa bei Programmiersprachen ausgebaut werden, und wie muss sich das Unternehmen personell aufstellen? Zudem identifiziert das Team neue Möglichkeiten, Risiken besser zu verstehen und künftig Produkte für bisher nicht versicherbare Risiken anzubieten.

Insbesondere bei neuen Technologien ist dieser neue Ansatz der Risikoberechnung vielversprechend. Durch die Versicherbarkeit von Cyberangriffen, IOT-Services und Künstlicher Intelligenz wird es Firmen ermöglicht, Zukunftstechnologien früher einzusetzen und potenzielle Risiken während ihrer Adoption zu vermeiden bzw. abzusichern. 

Den Austausch innerhalb des Quantum Technology and Application Consortium (QUTAC) und die mögliche Kooperation mit anderen daran teilnehmenden deutschen Konzernen sieht Nawroth als großen Vorteil für alle: „Anstatt unabhängig voneinander zu arbeiten, vernetzen wir uns und kommen so schneller zum Ziel.“ 

Titelbild © Munich Re