Frühzeitiges Investieren in Quantencomputing – Bernhard Kube, CTO bei Lufthansa Industry Solutions weiß: Pioniere haben Startvorteile

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17.08.2023

Bernhard Kube, Chief Technology Officer bei Lufthansa Industry Solutions, über die Notwendigkeit einer frühzeitigen und konsequenten Beschäftigung mit dem Quantencomputing – sowohl durch die Industrie als auch durch die Politik.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um sich mit industriellen Anwendungen von Quantencomputing zu befassen? Bernhard Kube, Chief Technology Officer bei Lufthansa Industry Solutions, erklärt, welche Lehren die Industrie aus der aktuellen Situation im Bereich Künstliche Intelligenz ziehen kann, was dies für eine Beschäftigung mit dem Thema Quantencomputing bedeutet und welche politischen Rahmenbedingungen ein erfolgreiches Quanten-Ökosystem braucht.

 

Bernhard Kube, Chief Technology Officer bei Lufthansa Industry Solutions.

 

Herr Kube, im Bereich Künstliche Intelligenz erscheinen uns durch den Hype um Sprachmodelle wie ChatGPT große Umwälzungen unserer Wirtschaft plötzlich sehr nah. Quantencomputing dagegen wird zwar diskutiert, die Ergebnisse aber oft in eine unbestimmte Zukunft verlagert. Wie viel von dem, was wir uns heute von der neuen Technologie versprechen, ist Hype, wie viel ist plausibel?

ChatGPT kommt nicht aus dem Nichts, sondern hat einen Vorlauf von mehreren Jahren Forschung und Entwicklung im Bereich von KI-Sprachmodellen. Auch vorher gab es schon gute Sprachmodelle, die in Unternehmen bereits in produktiven Anwendungen genutzt wurden. Mit ChatGPT kam nun eine disruptive neue Generation eines Sprachmodells auf den Markt. Wer sich auch vorher schon intensiv mit der KI beschäftigt hat, hat jetzt Startvorteile. Ich glaube, dass man diese Entwicklung mit der Situation im Quantencomputing vergleichen kann. Ein großer Teil der Arbeit, den wir momentan ins Quantencomputing investieren, bewegt sich weiterhin im Bereich der Grundlagenforschung. Doch dieser Fokus ändert sich gerade. Oder besser: Er wird ergänzt. Immer mehr Unternehmen setzen sich ernsthaft mit der Frage auseinander, ob und wie sie Quantencomputing zukünftig kommerziell erfolgreich einsetzen können – auch wenn diese Nutzung erst in mehreren Jahren möglich sein wird. Wir kennen den Zeitpunkt derzeit noch nicht.

Warum dieses frühe Engagement? Sind solche Innovationen zu diesem Zeitpunkt ökonomisch sinnvoll? Wäre es nicht kosteneffizienter für viele Unternehmen, erst auf den Quanten-Zug aufzuspringen, wenn die Technologie bereits weiterentwickelt wurde?

Kostengünstiger ist es vielleicht, aber auch kurzsichtig. Die Erfahrungen mit den anderen großen technologischen Innovationen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Pioniere sehr großen Nutzen aus ihren Startvorteilen ziehen können. Die aktuelle Situation im Bereich Künstlicher Intelligenz ist das beste Beispiel: Europa hat es hier verpasst, sich schon während der Entwicklungsphase wirtschaftlich sowie politisch an die Spitze zu setzen – und kann jetzt nur noch auf die großen Umwälzungen, die ihren Ursprung in den USA und in China haben, reagieren. Im Bereich Quantencomputing sollte uns nicht der gleiche Fehler ein zweites Mal unterlaufen.

Wie schätzen Sie die europäischen bzw. deutschen Chancen ein, die Zukunft des Quantencomputings mitzubestimmen?

Natürlich engagieren sich auch große amerikanische Konzerne wie IBM, Google und Amazon bereits im Quantencomputing. Insofern haben wir es hier mit einer starken Konkurrenz zu tun oder besser: einer starken Coopetition. Denn in einigen Bereichen arbeiten wir mit diesen Unternehmen beim Thema Quantencomputing gut und gerne zusammen. Die gute Nachricht: Gerade im Bereich industrieller Anwendungen – also abseits der reinen Frage nach der richtigen Hardware – sind wir auf dem richtigen Weg. Viele Start-ups aus Deutschland und Europa arbeiten bereits heute sehr intensiv an möglichen Use Cases für die kommenden Generationen von Quantencomputing. Und auch die großen Anwenderunternehmen sind mit von der Partie. QUTAC ist das beste Beispiel dafür.

In welchen Zeithorizonten müssen wir bei der Entwicklung des Quantencomputings denken? Wann rechnen Sie mit ersten Durchbrüchen? Gibt es so etwas wie das Mooresche Gesetz für Quantencomputer?

Es bleibt nach wie vor sehr schwierig, die weitere Entwicklung konkret vorherzusagen, geschweige denn eine Gesetzmäßigkeit zu erkennen. Das hat auch damit zu tun, dass im Bereich der Hardware die beste Technologie und Architektur noch nicht feststeht. Auch hier befinden wir uns weiterhin in der Grundlagenforschung. Sollte sich aber in absehbarer Zeit eine der bisher zur Debatte stehenden Varianten als die beste herauskristallisieren, dürfte das die weitere Entwicklung erheblich beschleunigen. Ob wir eine ähnliche Regelmäßigkeit beobachten werden wie das Mooresche Gesetz? Wenn der Knoten bei der Hardwareentwicklung geplatzt ist, kann das durchaus der Fall sein. Die Entwicklungs-Roadmap eines wichtigen Players im Markt sieht ganz ähnlich aus wie früher bei der Entwicklung der Microchiptechnologien.

In welchem Bereich erwarten Sie die ersten kommerziellen Einsatzgebiete?

Das dürfte vor allem das Segment der Optimierungen sein, wie zum Beispiel in der Produktion oder der Logistik. Hier werden wir vermutlich die Nutzung von Algorithmen verwirklichen können, die besser skalieren als klassische Optimierungsverfahren. Aber auch die Simulation von Molekülen für die Materialforschung scheint vielversprechend.

Welche Unternehmen werden zuerst von der Nutzbarmachung des Quantencomputing profitieren?

Momentan ist die Entwicklung von Quantenalgorithmen noch eine sehr hardwarenahe Programmierung. Das bedeutet, dass Unternehmen Spezialisten beschäftigen müssen, die ein entsprechendes Physik-Know-how mitbringen. Und auch die eigentlichen Quantencomputer werden auf absehbare Zeit weiterhin sehr teure Einzelstücke bleiben. Das alles macht die Nutzung von Quantencomputing zunächst fast ausschließlich für große Unternehmen ökonomisch attraktiv.

Wie können große Unternehmen wie Lufthansa Industry Solutions, aber auch andere QUTAC-Mitglieder, dazu beitragen, dass Quantencomputing auch seinen Weg in den Mittelstand findet?

Durch das Teilen unserer Erkenntnisse sowie konkrete Beratungsprojekte können wir später auch breiteren Schichten der deutschen Wirtschaft dabei helfen, mögliche Anwendungsfälle von Quantencomputing zu evaluieren und auf die nötige Hardware zuzugreifen. Aber auch die Politik wird ihren Beitrag zu leisten haben.

Welche konkrete Unterstützung erwarten Sie sich?

Es ist für uns als Wirtschaftsstandort entscheidend, dass wir Quantencomputing industriell und wirtschaftlich erfolgreich nutzbar machen. Was wir erreichen müssen, ist digitale Souveränität. Dafür brauchen wir zuverlässige, langfristige Rahmenbedingungen und Anreize für Investitionen. Wirtschaft, Wissenschaft und Start-ups benötigen einen niedrigschwelligen, kostengünstigen Zugang zu Quantencomputern – insbesondere zu solchen, die mit öffentlichen Mitteln beschafft werden. Und schließlich werden wir die öffentlich finanzierten Quantencomputing-Aktivitäten in Deutschland und Europa auch längerfristig finanzieren und koordinieren müssen. Dies ist nötig, um die deutschen Expertinnen und Experten, die teils zu den weltweit führenden gezählt werden können, sowie die deutschen Hardware-Start-ups zu halten. Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, effizient zu agieren. Nur so schaffen wir ein lebendiges, wettbewerbsfähiges Ökosystem. Und das brauchen wir.

Herr Kube, wir danken Ihnen für das Gespräch.