Boehringer Ingelheim: Eine Frage der Zeit

Quantensprünge

10.06.2021

Mit Quantencomputing die Medikamentenentwicklung beschleunigen

 

Für die Simulation komplexer Moleküle setzt Boehringer Ingelheim CTO Clemens Utschig-Utschig auch auf die Potenziale des Quantencomputing. So sollen künftig umfangreiche Laborversuche reduziert werden – und mit ihnen die Entwicklungszeit neuer Medikamente.

CTO Clemens Utschig-Utschig von Boehringer Ingelheim über Quantencomputing

Clemens Utschig-Utschig, CTO Boehringer Ingelheim. © C. H. Boehringer Sohn AG & Co. KG.

Medikamententwicklung: Der lange Weg zur Zulassung

Die Covid-19 Pandemie und ihre Folgen haben einen Industriezweig besonders in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt: Die Entwicklung neuer Medikamente. Plötzlich blickte die gesamte Welt auf die Pharmabranche. Regierungen sowie Bürgerinnen und Bürger setzten große Hoffnungen darauf, dass Unternehmen rasch passende Impfstoffe finden würden – und wurden schließlich nach etwa einem Jahr mit ersten Erfolgsmeldungen und Zulassungen belohnt.

Für Laien mögen sich diese Monate des Wartens und Bangens wie eine Ewigkeit angefühlt haben. Tatsächlich aber stellen sie so etwas wie einen Rekord dar: Im Schnitt 13 Jahre dauert es, bis ein neues Medikament alle Entwicklungsphasen durchlaufen hat und seine Zulassung erhält. Dass es bei Covid-19 im Vergleich dazu deutlich schneller ging, ist den besonderen Rahmenbedingungen der Pandemie geschuldet, die sich zwar rasant über den gesamten Erdball ausbreiten konnte, aber auch in nie zuvor dagewesener Weise in einer globalen Menschheitsanstrengung erforscht und bekämpft wurde.

Mit Simulationen Wirkstoffentwicklungen beschleunigen

Für die Entwicklung und Erprobung neuer Wirkstoffe sind Pharmaunternehmen bislang auf umfangreiche und zeitintensive Laborversuche angewiesen. Eine Möglichkeit, den Aufwand für derartige Versuchsreihen zu reduzieren, besteht im Einsatz computergestützter Simulationen der Moleküle, auf denen potenzielle Wirkstoffe (wie alle Dinge der physischen Welt) beruhen. Das Problem: Während klassische Computer die Dynamik einzelner Atome noch effizient simulieren können, erhöht sich die benötigte Rechenzeit bereits beim Sprung auf simple Moleküle erheblich. Simulationen komplexer Moleküle, wie sie in der Pharmaforschung relevant sind, scheinen unter diesen Bedingungen bislang kaum effizient realisierbar.

Clemens Utschig-Utschig, Chief Technology Officer (CTO) bei Boehringer Ingelheim, setzt daher auch auf das Potenzial des Quantencomputing, um derartige Simulationen in den Bereich des Möglichen zu holen. Denn mit dieser Technologie ließe sich womöglich irgendwann auch die Dynamik komplexer Moleküle mit einem vertretbaren Zeitaufwand berechnen. „Wir hoffen, durch den Einsatz von Quantencomputing eines Tages chemische Systeme, wie zum Beispiel gewisse Teile unserer eigenen Zellen, oder unseres Stoffwechsels besser beschreiben und simulieren zu können und auch besser zu verstehen als heute.“, erklärt er. Mit dieser Hoffnung weiß sich Utschig-Utschig in bester Gesellschaft. Schon Nobelpreisträger Richard Feynman sprach sich 1981 für die Nutzung des Quantencomputing bei derartigen Simulationen aus: „Die Natur ist nicht klassisch, verdammt, und wenn Du eine Simulation der Natur machen willst, mach sie besser quantenmechanisch, und meine Güte, es ist ein wunderbares Problem, denn es sieht nicht einfach aus.“

Grundlagenforschung mit starken Partnern

Dass die Entwicklung von Quantencomputing-basierten Anwendungen für die Simulation von Molekülen nicht einfach wird, weiß auch Clemens Utschig-Utschig und stellt klar, dass aktuell vor allem Grundlagenforschung wichtig sei: „In vielen Bereichen fehlen uns nicht nur die praktischen Möglichkeiten, sondern auch die theoretischen Grundlagen.“ Erste Anwendungen erwartet er in etwa zehn Jahren. Darum sei es umso wichtiger, dass Boehringer Ingelheim und andere bedeutende deutsche Unternehmen sich nun in dem neu gegründeten Quantum Technology and Application Consortium (QUTAC) zusammen gefunden hätten, um ihre Ressourcen und Kompetenzen zu bündeln. „Grundlagenforschung allein ist gut, im Verbund noch besser.“, erklärt er.

Viele der an QUTAC beteiligten Unternehmen stünden vor ähnlichen Herausforderungen, daher mache es Sinn, zusammen zu arbeiten. Am Ende, betont, Utschig-Utschig, werde es sich lohnen, denn man investiere heute Zeit in die Entwicklung quantentechnologischer Lösungen, die später bei der Medikamentenentwicklung deutliche Zeitersparnisse bringen könnten: „Wir suchen nach einem Weg, lebensrettende und die Lebensqualität erhöhende Medikamente künftig effizienter entwickeln zu können und so die Gesundheit von Mensch und Tier nachhaltig zu verbessern.“ Und hierfür sei kein Aufwand zu groß.

 

Titelbild © C. H. Boehringer Sohn AG & Co. KG